Vom Parkplatz des Einkaufszentrums am Luisenplatz hat man einen herrlichen Blick zur Stadtmauer und zum alten Bahnbereich. Man guckt defacto über die Heinrich-Zille Straße drüberweg, eine Straße, die heute nur noch zwei Häuser hat und eine Sackgasse gewor­den ist. Das letztere passierte im Rahmen der Umgestaltung der Pumpenstation und deren Inbetriebnahme am 3. Juni die­ses Jahres. Damit wurde das Pumpwerk aus dem Jahre 1923 abgelöst. Vom neuen Pump­werk sieht man nichts mehr, es befindet sich sechs Meter unter der Erde. Das gesamte Umland wurde neu gestaltet, natürlich auch die Zillestraße. Das alte holprige Pflaster ist weg, jetzt hat die Straße Knochenstein­pflaster. Aber Straße - wie man sie noch vor mehr als 50 Jahren her kannte - das ist sie schon lange nicht mehr.

Die heutige Generation kann es kaum glauben, dass diese Straße früher einmal gerade gewesen sein soll und beidseitig Häuserreihen besaß. Sie hatte eine direkte Anbindung vom Luisenplatz zur Bahnhofstraße (heute Gollnowstraße) und hieß damals Ritterstraße, vermutlich - benannt nach dem damaligen Maurermeister Ritter. Aussagen, dass die Namensgebung auch eine Art Huldigung des Adels und Fürstentums gewesen sein könnte, widerlegen Historiker. Sie meinen, dass die mittelalterlichen Ritterstraßen nichts mit den Rittern zu tun hätten, sondern eher mit Richtern. Seit 1946 trägt die Straße den Namen "Heinrich Zille", benannt nach dem deutschen Maler und Satiriker Heinrich Zille. Er lebte von 1858 bis 1929.

 

Der Bergbau hinterlässt seine Spuren

Bereits im Oktober 1895 waren im Zentrum von Staßfurt als Folge des Kalibergbaus mehre­re stärkere Erdbewegungen zu verzeichnen. Um die Jahrhundertwende senkten sich einige Straßen bereits um einige Meter. Viele Häuser fielen diesen Bewegungen und Senkungen zum Opfer. So auch die in der damaligen Ritterstraße. In ihr standen Ende des 19. Jahrhun­derts noch 22 Häuser, bereits 1909 waren schon neun Häuser abgerissen. Dabei befanden sich in der Straße kleinere und auch attraktive zwei- bis dreigeschossige Gebäude mit Ge­schäftsbereichen. So stand am Eingang zur Güstener Straße ein großes Eckhaus mit einem Delikatessengeschäft von Behne und Sohn. Später betrieb das Geschäft Richard Mörre. Nach dem Krieg war darin ein Konsum-Lebensmittel-Laden und danach ein Fahrradgeschäft, bis dieses Haus Ende 1968 abgerissen wurde. Dahinter befanden sich unter anderem die Grundstücke der Schlosserei Claußen und der Metallgießerei Gustav Habild.

Vom Luisenplätz linksseitig aus war als erstes das Handelshaus von Gustav Hedermann („Sämereien, Mühlenfabrikate, Kartoffelhandlung") zu sehen. Das Haus steht heute noch (Zil­lestraße 11) und wird von der im Hause geborenen Tochter des Kurt Hedermann (Sohn von Gustav) Frau Marga Much mit ihrem Ehemann bewohnt. Das Geschäft wurde 1953 aufgegeben.

 Hinter diesem Haus steht das zweite Haus der jetzigen Zillestraße (Nr. 10). Hier befand sich in den 20-er Jahren das Blumengeschäft des Herrn Kinkeldey. Nach dem Krieg nutzte die HO diese Räume als Lager, und im Januar 1991 eröffnete Frau Antje Hahn das „Nähkörbchen". 1997 erwarb Frau Erdmann das Haus, baute es umfangreich um und richtete eine Versicherungsvertretung ein. Viele Staßfurter erinnern sich noch an das dahinter gestandene attraktive, oberhalb mit Holz verkleidete Haus (Nr. 9), ein Denkmalobjekt. Es war bis zu seinem tragischen Aus im Jahre 1998 bewohnt. Mehrere Brände vernichten das Haus, so dass es kurze Zeit später abge­rissen werden musste. Dabei hat auch dieses Gebäude seine Geschichte: 1870 erbaut, damals noch mit einer attraktiven steinernen Fassade. Im Jahre 1914 erfolgte ein Umbau, bei dem die vorhandenen Senkungen mit ausgeglichen wurden, und das Gebäude wurde dann bis 1938 als Reichsbank genutzt.

Eine Erinnerung an die Zil­lestraße bleibt bei vielen Staß­furtern, die sie noch aus ihren Kinder- und Jugendtagen kennen. Die Straße war ein beliebter Rodelberg und Staßfurter, die in den 60-er bis 80-er Jahren ihre Fahrschule absolvierten, übten hier sicherlich auch das "Anfahren am Berg".

Heute ist von der alten Ro­mantik nichts übrig geblie­ben. Wie schon erwähnt, zählt die Heinrich-Zille-Straße nur noch zwei Häuser und die Pumpenstation, die demnächst - bedingt durch die dezentrale Wasserhaltung - bei vielen Nie­derschlägen noch einen kleinen See erhalten wird.

 

(Entnommen aus der Volksstimme vom 9. August 2005, Autor: Heinz-Jürgen Czerwienski)